Kurzgeschichte: Rote Tränen

Verfasst: 2012

 

Er sah die rot besprenkelte Wand an. Mit seiner Fingerspitze malte er rote Kreise auf die weiße gekachelte Wand. Er stand ganz still. Nichts außerdem Finger rührte sich. Er versuchte sein Inneres zur Ruhe zu bringen. Er versuchte sich selbst zu beherrschen. Doch die Bilder wollten nicht aus seinem Kopf. Er versuchte an nichts zu denken, doch immer wieder schoben sich die Bilder in sein Gedächtnis. Ein Schluchzen stieg in seiner Kehle empor. Er wollte es unterdrücken, doch er wusste dass er es nicht konnte. Er lehnte seinen Kopf gegen die rote Wand. Er roch das Eisen. Er presste seine Hände zu Fäusten zusammen. Eine Welle der Hoffnungslosigkeit übermannte ihn. Er schlug mit seiner Faust gegen die Wand. Das Schluchzen ließ seinen Körper unkontrolliert zucken. Er sah die vielen roten Kreise. Er hob seinen Finger und führte zwei der Linien zusammen. Er spürte die Feuchtigkeit auf seinen Wangen erst als sie sich mit den roten Spritzern vermischten. Eine seiner Tränen rann die Wand entlang und zog die roten Fäden hinter sich her. Sie rann direkt durch seine zusammengeführten Linien. Er trat einen schritt zurück. Sein Herz hatte einen Riss bekommen. Die Träne hatte es geteilt. Er ließ sich auf den Boden sinken und presste seine roten Hände auf sein geschundenes Gesicht.

Sie zuckte zusammen als sie den Schmerz spürte. Er hatte ihren ganzen Körper in besitz genommen und kontrollierte ihre Gedanken. Sie versuchte ihre Augen zu öffnen, doch es kam ihr vor als ob Gewichte auf ihnen lasten würden. Als sie schlucken wollte rollte eine Welle von Schmerzen durch ihren Hals. Ein gleißend heller Blitz zuckte durch ihren Kopf. Sie hörte ein Geräusch. Schlurfende Schritte bewegten sich auf sie zu. Sie spürte die Erschütterung die die Schritte auslösten, jeder war ein Schmerz der durch ihren Körper zuckte und alles in Flammen stehen ließ. Sie versuchte die Hand zu heben um ihre Augenlieder anzuheben. Doch sie hatte kein Gefühl mehr in ihren Knochen. Sie war gefangen in ihren Körper, ohne zu wissen was um sie herum passierte. Sie hörte ein Stöhnen und dann ein Schluchzen. Sie konzentrierte sich auf ihre Augen und schaffte es mit Mühe ein Lied anzuheben. Das grelle Neonlicht stach ihr in das Auge. Sie blinzelte und öffnete erneut mühsam ihr eines Auge. Der Raum schien sich zu drehen. Sie erblickte eine weiß gekachelte Wand. Rote Spritzer bedeckten die gesamte Wand. Sie versuchte sich zu erinnern wie sie hierher gekommen war, doch ihre Erinnerung war ein schwarzer Fleck. Als sie erneut ein Geräusch hörte zuckte sie zusammen, was dazu führte das der Schmerz, der mit dieser Reaktion über sie rollte, sie zwang ihr Auge wieder zu schließen. Sie war erneut in der Schwärze ihres Innernen gefangen. Sie hörte ein erneutes Schlurfen, dann spürte sie einen warmen Atem auf ihrer Stirn. Sie hielt die Luft in ihren pochenden Lungen. Sie spürte eine Berührung auf ihrer Wange, dann pressten sich warme Lippen auf die ihren. Sie zwang sich nicht zu schreien.

Er küsste sanft ihre Lippen. Sie war so schön. Auch jetzt noch, nachdem sie ihre Augen für immer geschlossen hatte. Er strich ihr sanft die roten Spritzer von der Wange. Er hob vorsichtig ihren Blutdurchtränkten Kopf und bettete ihn in seinen Schoß. Er strich ihr die roten Haarsträhnen aus dem bleichen Gesicht. Er empfand Zärtlichkeit für diesen stillen Engel. Seine Wut war verschwunden, seine Tränen getrocknet. Er lächelte düster. 

Eine Gänsehaut lief ihr über den Rücken als er ihren Kopf auf seinen Schoß bettete. Sie atmete so flach wie möglich. Ihre Lungen protistierten und wollten mehr Luft. Sie unterdrückte den Zwang ihr Auge zu öffnen. Die Minuten verstrichen. Sie wollte allein sein mit sich und ihrem Schmerz. Ein leises Stöhnen drang über ihre trockenen Lippen. Sie stockte und hoffte das er es nicht gehört hatte.

Er wollte gerade aufstehen, als er ein Geräusch vernahm. Er beugte sich zu ihr hinunter. „Was sagst du mein Engel?“, fragte er sie im Flüsterton. Er hörte ein erneutes Stöhnen. Er nahm ihren Kopft in seine Hände und sah ihr ins Gesicht. Wie konnte es sein das sie noch atmete. Behutsam hob er eines ihrer Lieder an und sah in ein erschrockenes Auge. 

Der Schock lähmte ihren ohnehin schon gelämmten Körper. Sie sah in seine fragenden blauen Augen. Sie sah wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Sie wollte ihre Hand heben und sie fortwischen. Doch dies war jemand der ihr wehgetan hatte, er verdiente es nicht Trost von ihr entgegenzunehmen. Erst jetzt spürte sie die Nässe auf ihrer Kopfhaut und ihrem Hals. Sie starrte auf ihre Blutrote Hand.

Er nahm ihre Hand von ihrem Hals. „Psssstttt mein Engel. Du hast dir wehgetand.“, sagte er und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Er hatte nicht vorgehabt vor ihr zu weinen. Nicht vor ihr. Sie sollte nicht sehen wie verletztbar er war. Er nahm ihre Hand in seine und strich ihr über die Handinnenfläche. Er spürte das sie ihre Hand wegziehen wollte, doch ihr fehlte die nötige Kraft. Er sah hinunter auf ihren Hals. Blut tropfte aus der Wunde die er ihr zugefügt hatte. Sie wimmerte in seinem Schoss. „Psssstttt mein Engel. Du musst schlafen.“, sagte er während er ihre Wunde betrachtete. 

Sie wimmerte als er zu ihr sprach. Seine Stimme schmerzte in ihren Ohren. Sie wollte das er den Mund hielt. Sie wollte das die Schwärze wiederkam und sie mit sich nahm. Sie wollte weg von ihm. Sie spürte wie er ihren Kopf von seinem Schoss schob. Sie spürte die kalten Fließen unter ihrer Wange. Erleichtert atmete sie aus. 

Er stand auf und trat zu dem kleinen Glasschrank an der einen Wand. Er öffnete die Türen und nahm einen Gegenstand aus dem Schrank. Dann trat er zurück. Sie lag auf den Boden unfähig sich zu bewegen. Er wollte dem ein Ende machen. Er wollte seinen Engel von den Schmerzen die sie haben musste erlösen. Er war ein guter Mensch, er wollte seinen Engeln keine Schmerzen haben lassen. Er war der Erlöser von allem. Er kniete sich neben sie und sah ihr in die offenen Augen. „Es tut mir leid“, sagte er.

Sie hörte seine Stimme. Nein! Schrie ihr Inneres. Sie wusste was er vorhatte. Sie sah den Lauf des Revolvers in seinen Händen. Er hatte sie umbringen wollen. Er war ein Psychopath. Es war ihm misslungen und nun wollte er auf Nummer sicher gehen. Sie krallte ihr Fingernägel in ihre Hosenbeine. Sie wollte nicht sterben. Nicht hier, nicht heute. Sie wollte selbst bestimmen wann der Tod sie holen durfte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Blutrot troften sie aus ihnen heraus und liefen ihre Wange hinunter.

Er sah die roten Tränen. Es war soweit. Er nahm ein letztes Mal ihr Gesicht in seine Hände und küsste ihr die Tränen weg. „Ich liebe dich mein Engel“, sagte er und sah ihren bittenden Blick. „Es wird nicht wehtun, es wird schnell gehen. Sie fing an zu schluchzen. Die Schluchzer erfüllten sein Herz. „Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin bei dir. Pssssttt!“, flüsterte er ihr ins Ohr. Dann begann er die Melodie von dem einzigen Lied zu summen das er kannte. „Schlaf Englein schlaf...ich hüte die Schaf. Schlaf Englein schlaf...ich bring dir den sorglosen Schlaf.“ Er legte die Hand auf ihre erschrockenden Augen. Er wusste sie hatte das Lied erkannt.

Sie hörte wie er anfing die Melodie eines Schlafliedes zu summen. Sie konnte nichts mehr machen. Er legte eine seiner Hände auf ihre offenen Augen. Mama, es tut mir leid, ich hab dich lieb!, dachte sie. 

Er legte den Zeigefinger auf den Abzug. Er sah ihr Gesicht, es war das was er als letztes sehen wollte. Der Knall hallte an den blutroten Wänden wieder. Eine Träne rann seine Wange hinunter. Er schloss seine Augen und ließ sich in die Dunkelheit fallen. 

Sie hörte den Knall. Sie spürte den roten Sprühregen der sich auf ihr Gesicht ergoss. Dann hörte sie den dumpfen Aufschlag des Revolvers auf dem Boden. Sie öffnete ihre Augen und sah in die seinen. Er lächelte bevor er seine schloss. Tränen rannen ihr die heißen Wangen hinab. Sie nahm seine noch warme Hand in ihre. Sie schloss ihre Finger um seine. „Danke“, sagte sie. Sie streckte ihre Hände nach der Waffe aus. Der zweite Knall ließ die Wände zittern. Stille erfüllte den Raum. In seiner Mitte lagen zwei Personen. Er hatte die Augen geschlossen und sein Gesicht in ihre Richtung gerichtet. Sie hatte ihre Hand um seine geschlungen. Ein friedlicher Ausdruck lag auf ihrem Gesicht. Die Waffe ruhte in ihrer Hand. Sie trug einen Schriftzug. „Hope.“